Abgewehrte – und das heisst oft: in den Tod getriebene – Geflüchtete sind uns teuer. Wir geben viel Geld für sie. Und sie sind uns auch lieb und teuer, wenn wir von Menschenrechten reden, schreibt Kolumnistin Anni Lanz.
Sargformatige Holztische mit hochgereckten Beinen, aufgestellt wie in einem Restaurant nach der Schliessung, in labyrinthartiger Anordnung mit spriessenden Gräsern in den Tischplattenritzen – eine beeindruckende, raumfüllende Installation in der Fondation Beyeler.
Der gesamte Raum vermittelt eine in Worten kaum fassbare Atmosphäre des geräuschlosen Zerfalls, des unbeachteten Tods von Geflüchteten. Die Ausstellung der Künstlerin Doris Salcedo fällt in eine Zeit der Einigung von EU-Staaten auf neue Formen der Flüchtlingsabwehr.
22‘000 Euro pro abgewehrten Flüchtling wollen die reichen Länder den Schengener Randstaaten hinblättern, sogar Milliarden den Drittländern auf den Fluchtrouten. Ein beachtlicher Anreiz für korrupte Staaten, das Geschäft des stillen Sterbens hochzufahren. In einer Zeit, in der die Klimakatastrophe die Lebensgrundlagen in Ländern mit geringen Asylanerkennungsquoten ruiniert und die enteignete Bevölkerung in den Tod treibt. Geflüchtete aus solchen Ländern sollen mit raschen Asylverfahren vor den Toren der EU weggewiesen werden – wohin? Eine Antwort auf diese, von den reichen Ländern gar nicht erst gestellte Frage geben Salcedos Installationen. Und während ich diesen Text schreibe, kommen die ersten Meldungen von der jüngsten Schiffskatastrophe vor Griechenland. In der Nacht vom 13. auf den 14. Juni sind dort wohl an die 500 Flüchtende ertrunken.
Problematische Rückführungen
Natürlich kennen die Migrationsbehörden die grossen Risiken der Fluchtrouten: Risiken, die mit den teuren Abwehrmassnahmen zunehmen. Und unter vier Augen geben Beamte offen zu, dass Rückführungen in die Schengener Randstaaten problematisch sind. Die Parlamente in den Kantonen Waadt, Bern und Basel debattieren über eine Aussetzung der Abschiebungen nach Kroatien. Im Grossen Rat von Basel-Stadt wurde der Vorstoss sogar angenommen. Und trotzdem einigte sich der Europäische Rat am vergangenen 8.Juni auf eine EU-Rechtsakte mit neuen Aussenposten, ausgelagerten Asylverfahren und fragwürdigen Migrations-Deals mit Drittstaaten. Die Medien übernehmen die beschönigende Sprache der gouvernementalen Mediencommuniqués: «Die EU und ihre Mitgliedstaaten bemühen sich verstärkt um eine wirksame, humanitäre und sichere europäische Migrationspolitik. Der Europäische Rat spielt bei diesen Bemühungen eine wichtige Rolle, indem er die strategischen Prioritäten vorgibt.»
Das tönt nach einem trittfesten, menschenwürdigen Vorgehen. Doch es ist ein offenes Geheimnis: Die Schengener Migrationspolitik ist gescheitert. Das wissen nicht nur die Migrant*innen, die Geflüchteten, die NGOs. Hinter vorgehaltener Hand geben das auch manche involvierte Behördenmitglieder zu. Das wissen vermutlich auch die EU-Ratsmitglieder und Migrationsexperten. Aber am Konzept der Migrationsabwehr inklusive der Menschenrechtsrethorik wird – koste es, was es wolle – festgehalten. Gekostet hat es beispielsweise seit 2015 mehr als 25‘000 Menschenleben und viele Milliarden Euro an korrupte Eliten in den Emigrationsländern. Wie zu Zeiten des Kolonialismus. Über die Köpfe der Bevölkerung hinweg.
Migrationsabwehr ist auch eine lokale Frage. Sie wird die Zeit vor den National- und Ständeratswahlen in der Region Basel prägen. Wie werden sich die Parteien links der SVP positionieren? Können wir neue politische Vorschläge entwickeln, welche eine Ausschaffung um jeden Preis verbieten? Zum Beispiel Leitlinien fordern, welche vulnerable Geflüchtete vor traumatisierenden Abschiebungen schützen? Ausschaffungshäftlinge begleiten und ihnen materielle Hilfe zukommen lassen?
Es fehlt nicht an Möglichkeiten, auf lokaler Ebene etwas zu tun.